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Der Ausgang Eigenwerk
von kasselklaus aus der Kategorie Geschichte - Verrückt, Absurd, Surreal

Kurzgeschichten aus 30 Jahren
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Erstellt:    12.10.2008 09:48
Geändert: 14.10.2008 20:17
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Der Mann in dem kleinen Häuschen neben der Einfahrt sah mich und mein Auto kurz an. "Wollen sie zum Kongreß?" fragte er mich dann.

Ich bejahte die Frage und zeigte ihm meine Kongreßkarte.

Er nickte ernst, drückte mir eine kleine Plastikkarte in die Hand und sagte dann: "Vierte Ebene."

Ich bedankte mich und kurbelte die Scheibe wieder hoch. Obwohl ich zu spät war , fuhr ich langsam und vorsichtig auf der schneckenartig hinabführenden, schmalen Rampe. Insbesondere ich als Fahranfänger mußte aufpassen, daß ich nicht eine der sehr nahen, seitlichen Betonwände streifte. In der vierten Ebene verließ ich die Rampe, die weiter nach unter führte. Ich gelangte in den tunnelartigen Parkbereich. Dieser Tunnel schien sehr lang zu sein. Ich sah jedenfalls kein Ende. Links und rechts der Fahrspur parkten die Autos dicht an dicht, sodaß ich erst noch eine gewisse Zeit in den Parktunnel hineinfahren mußte, bis ich endlich einen freien Platz gefunden hatte.

Ich drehte den Zündschlüssel herum und griff nach meiner Aktentasche, die ich auf dem Beifahrersitz liegen hatte. Sie enthielt die umfangreichen Unterlagen des Kongresses. Ich stieg aus und verschloß die Tür meines Autos. Suchend schaute ich mich um. Irgendwo mußte der Ausgang sein. Normalerweise wiesen Hinweisschilder auf den Ausgang hin; doch hier fehlten sie. Die Betonwände waren nur mit aufdringlich bunten Reklameschriften und -bildern bedeckt, keine Spur eines Hinweises auf die Ausgangstür. Dann mußte ich eben suchen. Die von den Betonwänden vielfach reflektierten Motorengeräusche anderer Autos drangen an mein Ohr. Es gab keinen Augenblick der Ruhe. Vorsichtig bewegte ich mich auf der Fahrbahn zwischen den beidseitig quer zur Fahrtrichtung geparkten Autos. Plötzlich wurde ein bestimmtes Motorgeräusch lauter. In der Ferne sah ich den Lichtkegel eines sich nähernden Autos. Ich ging zunächst weiter und blickte mich weiterhin suchend um. Doch außer Werbung fand sich nichts an den Wänden. Ich blieb stehen. Vielleicht kannte der Fahrer des Wagens diese Garage bereits und konnte mir den Ausgang zeigen. Langsam passierte mich das Fahrzeug und fuhr dann einige Meter weiter in eine Parklücke.

"Guten Tag!" sagte ich freundlich, "wollen sie auch auf den Kongreß?"

"Ja", sagte die Frau und blickte mich etwas ängstlich an.

"Keine Angst!" lachte ich, "ich will sie nicht überfallen, aber ich finde den Ausgang nicht und wollte sie fragen, ob sie hier vielleicht besser Bescheid wissen."

"Nein, ich bin auch zum ersten Mal hier."

"Dann sollten wir gemeinsam suchen", schlug ich vor.

Sie nickte zustimmend.

Beide gingen wir nun die Fahrbahn zwischen den beidseitig parkenden Autos entlang.

"Eine sehr große Tiefgarage", stellte sie fest.

"Es ist ja auch ein sehr großer Kongreß." Ich schaute auf meine Armbanduhr. "Der Kongreß hat bereits begonnen."

"Bestimmt nicht. Sicher haben auch die anderen Kongreßteilnehmer Schwierigkeiten mit dieser Tiefgarage."

Sie blieb plötzlich stehen.

"Was ist?" fragte ich.

"Ich glaube, ich höre Stimmen", sagte sie. Beide blieben wir stehen und lauschten.

"Ja", sagte sie, "ein noch ziemlich weit entferntes Stimmengewirr."

"So weit ist das nicht entfernt. Durch die Reflexionen entsteht nur dieser Eindruck." Ich wies auf das nun sichtbare Ende des Parktunnels in etwa 50 m Entfernung vor uns. "Dorthinten knickt der Parktunnel vermutlich um 90° nach rechts ab. Hinter dieser Abbiegung dürften die Leute sein, vielleicht auch der Ausgang."

Beide gingen wir nun etwas schneller. Die dämmerige, von fernen, verhallten Motorengeräuschen und jetzt von Stimmengewirr erfüllte Tiefgarage wirkte bedrohlich, ebenso die Werbebilder an den grauen Betonwänden, die mir mit jedem Schritt greller und unsinniger vorkamen.

Schnell bewältigten wir den Weg bis zur Abbiegung. Kurz davor verlangsamten wir unwillkürlich unsere Schritte. Das Stimmengewirr war lauter und deutlicher geworden.

"Das hört sich so an, als wenn jemand eine Fete feiert", sagte ich. Sie nickte stumm. Die beidseitig der Fahrbahn geparkten Autos gaben mir an diesem unwirklichen Ort etwas Selbstvertrauen.

Endlich hatte wir die Tunnelbiegung erreicht.

Sofort wurde es deutlich heller. Die Lichtkegel mehrerer kreisförmig aufgestellter Autos konzentrierten sich auf eine Fläche in ihrer Mitte. Dort sahen wir erstaunt eine größere Zahl von feiernden, ausgelassenen Menschen. Vorsichtig kamen wir näher. Einige der Leute saßen auf dem grauen Betonboden und unterhielten sich mehr oder weniger lautstark. Zum Teil hielten sie Bierflaschen in der Hand. Andere wiederum saßen auf Campingklappstühlen und -tischen. Schließlich hatten wir den durch die Autoscheinwerfer erhellten Bereich erreicht. Lautstark wurden wir von den Feiernden begrüßt. "Habt ihr Musik-Kassetten dabei?" fragte uns einer der Leute, "der Musikempfang hier unter der Erde ist miserabel. Keiner hat vernünftige Musik dabei. Und die gehört zum Feiern dazu!" Lautstark stimmten die anderen zu.

Ich war nach wie vor erstaunt. "Was geht hier vor?" fragte ich daher wenig einfallsreich.

"Kommt zu uns an den Tisch und trinkt erst einmal ein Gläschen!" forderte uns einer der Feiernden auf. "Hier sind noch zwei Plätze frei, und so läßt sich's besser erzählen.

Wir folgten der Einladung. Die anderen verloren ihr Interesse an uns und unterhielten sich weiter. An unserem Tisch saßen noch vier weitere Leute. "Ich glaube, wir kennen uns vom letzten Kongreß", meinte ich, um mich ins Gespräch einzuschalten. "Kann das sein?"

Sie nickten. "Ihr wollt sicher wissen, was hier los ist?" sagte einer lachend.

"Ja, ziemlich rätselhaft ist das alles hier."

"Ihr habt schon gemerkt, daß die Garage keinen Ausgang hat", begann er, "doch nicht nur das. Sie hat auch keine Ausfahrt!"

Ich verstand nicht. "Wieso? Ich bin doch auch hineingekommen."

"Sicher," sagte einer der anderen, "aber es handelt sich um eine Einbahnstraße. Die Schilder sind am Eingang angebracht."

"Aber irgendwie muß es doch wieder 'rausgehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es keinen Ausgang gibt. Außerdem sollte uns ein Schild nicht daran hindern, trotzdem in die verbotene Richtung zu fahren."

Wieder lachten die Leute am Tisch. "Versuch' es mal! Das wäre lebensgefährlich! Unentwegt fahren Autos hinunter, diese Tiefgarage muß noch viele weitere Etagen haben."

"Man könnte zu Fuß hinaufgehen", sagte ich.

"Ohne Auto?" entgegnete die Frau. "Was würde mit unseren Autos passieren?"

Nun war ich noch erstaunter. "Wollen sie lieber verhungern und verdursten, als ihr Auto im Stich zu lassen?" fragte ich ärgerlich.

Wieder lachten die Leute am Tisch. "Wer spricht denn von verhungern und verdursten?" meinte einer. "Einige von uns haben, wie du siehst, Essen und Trinken mitgebracht. Und es kommen immer wieder Leute dazu, die etwas dabeihaben. Irgendwie wird's schon weitergehen. Und irgendwann wird sich schon eine Lösung finden. Solange wollen wir gemütlich beisammen sitzen und feiern! Prost!"

"Prost!" sagte ich. Doch ich nippte nur an dem Bierglas, während meine Begleiterin einen vollen Schluck nahm. Nachdenklich verfolgte ich das belanglose Gespräch, das sich jetzt an unserem Tisch entwickelte. Irgendwie benahmen sich die Leute unnatürlich, fand ich. Aber es war ja auch eine ungewöhnliche Situation.

"Nein!" rief ich schließlich so laut, daß sich einige der Feiernden zu mir umdrehten. "Ich werde weiter einen Ausgang suchen, ich kann hier nicht einfach nur herumsitzen, Bier trinken, Kartoffelsalat essen und die Werbung an den Betonwänden lesen."

Ich griff nach meiner Tasche mit den Kongreßunterlagen und blickte meine bisherige Begleiterin an. "Kommen sie mit?" fragte ich sie. Sie überlegte einen Moment. "Nein", sagte sie dann und prostete den Leuten am Tisch zu.

Ich war darüber etwas traurig, aber ich mußte ihre Entscheidung natürlich akzeptieren. "Auch gut!" sagte ich und fühlte plötzlich einen nicht genau erklärbaren Ärger in mir. Wütend bahnte ich mir einen Weg durch die auf Stühlen oder auf der Erde sitzenden Leute.

Zwischen zwei der geparkten Autos sah ich jemanden würgen. Nach vorne gebeugt, platschte das Erbrochene auf den grauen Betonboden.

Hastig ging ich weiter, zwängte mich schließlich zwischen zwei der im Kreis aufgebauten Fahrzeuge durch und entfernte mich schnell. Eine kalte Wut hatte mich gepackt, keinen Blick warf ich zurück. - Allmählich wurde das Stimmengewirr leiser.

Im Gehen überlegte ich. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich in Richtung meines Autos zurückgegangen wäre. Aber nun hatte ich es bisher nicht getan und es ekelte mir davor, noch einmal durch die Gruppe der Feiernden zu gehen.

Ich ging sehr schnell, fast lief ich und so hatte ich bald, nach vielen dutzend Metern, die nächste Biegung, wieder nach rechts, erreicht. Ich warf nun doch noch einmal einen Blick zurück. Man hörte nur noch sehr fernes Stimmengewirr und sah den fernen, hellen Fleck der Autoscheinwerfer. Ich war stehengeblieben. Mir fiel auf, daß die Zahl der Fahrzeuge, die beidseitig der Fahrbahn geparkt waren, stark abgenommen hatte. Die Parklücken überwogen nun bei weitem die Zahl der geparkten Autos. Einige Minuten ging ich nun weiter. Angestrengt blickte nach vorn. In einiger Entfernung schien wieder eine Biegung des Parkgaragentunnels um 90 Grad nach rechts zu kommen. Wurden nicht auch die Werbesprüche an den Wänden immer weniger? Immer häufiger sah man nur noch das eintönige Grau des Betons. Auch nahm die Zahl der an der Decke hängenden Neonröhren ab. Hinzu kam, daß viele von ihnen defekt waren, so daß die Garage in ein zunehmend diffuseres Licht getaucht war.

Ich erreichte die nächste 90 Grad-Abbiegung nach rechts, das war nun die dritte.

Ich ging weiterhin sehr schnell. Nach einigen hundert Metern würde wahrscheinlich wieder eine Tunnelbiegung nach rechts kommen. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Noch rascher versuchte ich zu gehen. Beinah lief ich jetzt schon. Es mußte die nächste Ecke geben! Mit jedem Schritt war ich mehr davon überzeugt, daß es so sein mußte. Drei Abbiegungen mit jeweils 90 Grad hatte ich umgangen, wenn ich jetzt wieder einige hundert Meter gehen würde, müßte ich die vierte Abbiegung erreichen und wäre - wie bei einem Viereck - wieder bei der Ursprungsgerade, dort, wo mein Auto stehen würde. Beflügelt von dem Gedanken, daß es so sein würde, schritt ich nun zügig, aber nicht mehr so hastig aus. Aber dann bekam ich doch Zweifel, vielleicht war es ja auch ganz anders. Wieder betrachtetete ich meine Umgebung. Nur hin und wieder fand sich noch einen Werbespruch an den grauen Betonwänden. Autos parkten nur noch in großen Abständen voneinander. Warum sollte man auch so weit entfernt von der Einfahrt parken?

Schließlich sah ich in der Ferne die nächste Tunnelbiegung. Ich unterdrückte den Drang zu laufen und ging mit gleichmäßigen Schritten weiter. Ich atmete schwer, die Luft schien hier ziemlich schlecht zu sein. Ich spürte eine starke Erregung in mir. Sie war so stark, daß mein Magen revoltierte und ich Angst davor hatte, mich zu übergeben.

Schließlich war die Tunnelabbiegung erreicht. Wieder 90 Grad. Doch dahinter...

Nein! Meine Erregung wich tiefer Niedergeschlagenheit. Das konnte nicht die Tunnelgerade sein, in der mein Auto stand. Denn ich hörte keine Motorgeräusche; es herrschte, wie ich nun erschreckt feststellte, Totenstille. Ich blieb stehen und hörte meinen keuchenden Atem. Einige Minuten vergingen.

Schließlich ging ich aber doch weiter. Vielleicht kam ich doch noch zu der Einfahrt und dann schließlich zu meinem Auto. Doch das geschah nicht. Wieder ging ich einige hundert Meter. Vielleicht noch zehn Autos stand in dieser Parktunnel-Geraden, in dem Abschnitt, wo mein Auto stand, waren fast alle Parkplätze besetzt gewesen!

Endlich erreichte ich wieder eine Tunnelbiegung, die fünfte. Ich ging weiter. Im Gehen versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen, es mußte eine Lösung geben. Als ich nach einigen Minuten die nächste Tunnelbiegung erreicht hatte, wußte ich plötzlich die Lösung des Rätsels. Es war eigentlich ganz einfach. Eine halbe Stunde ging ich weiter zügig die Tunnelgeraden entlang. Und jetzt wurde es auch deutlich: Die Tunnelgeraden wurden tatsächlich kürzer; jeder Tunnelbiegung erreichte ich etwas schneller als die vorhergehende. Das bestätigte meine Theorie: Ich befand mich in einem gigantischen, zu einer Mitte führenden Tunnelsystem, das wie eine Schnecke angelegt war, allerdings nicht aus einer immer enger werdenden Krümmung nach innen bestehend, sondern aus immer kürzer werdenden Geraden.

Bald standen keine Autos mehr an den Seiten. Nur die regelmäßig angebrachten weißen Strichmarkierungen erinnerten noch an den Zweck des Tunnels. Auch Werbung fand sich keine mehr an den Wänden. Nur grauer, eintöniger Beton. Weiterhin schritt ich zügig aus. Wieder verging eine gewisse Zeit, die Tunnelgerade hatte nun nur noch eine Länge von vielleicht 30 Metern. Meine Spannung stieg. Was würde mich am Ende erwarten? War dieser Tunnel etwa eine Sackgasse?

Schließlich verengte sich der Tunnel sogar. Nur noch auf einer Seite waren Parkmarkierungen angebracht. Nachdem ich weitere Tunnelbiegungen erreicht hatte, wurde der Tunnel schließlich so schmal, daß die Parkmarkierungen nur noch ein längliches Parken auf einer Seite erlaubten.

Dann wurde der Tunnel so schmal, daß allenfalls drei Menschen hätten nebeneinander gehen können. Die gerade Strecke war schließlich jeweils nur noch wenige Meter lang. Bald mußte ich das Innerste erreicht haben. Meine Aufregung, meine Spannung stieg.

Schließlich war die Gerade noch etwa zwei Meter lang. Hinter der nächsten Abbiegung mußte es sich entscheiden. Mein Herz klopfte bis zum Hals.

Und dann kam die große Erleichterung. Hinter der nächsten Ecke waren die Betonwände plötzlich geweißt. "Ausgang" stand in großen, bunten Buchstaben an den Wänden auf beiden Seiten des Ganges und Pfeile wiesen auf eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Sah ich nicht sogar schon das Tageslicht von oben herunterschimmern?

Sicher würde ich der erste auf dem Kongreß sein.

Aber einer muß ja schließlich den Anfang machen, dachte ich, während ich zügig die Wendeltreppe hinaufstieg.

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