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Letzter Tag im Krankenhaus Eigenwerk
von kasselklaus aus der Kategorie Geschichte - Verrückt, Absurd, Surreal

Kurzgeschichten aus 30 Jahren
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Erstellt:    12.10.2008 09:43
Geändert: 14.10.2008 20:17
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"Na, geht's uns heute besser?" fragte der Arzt.

"Ja", sagte ich, "es geht mir besser."

"Schön", freute sich der Arzt, "wenn alles gut geht, dann können Sie morgen früh 'raus." Er wandte sich zur Tür, drehte sich dann noch einmal um. "Ich hoffe, es ist Ihnen recht, daß wir sie in dieses Einzelbettzimmer verlegt haben. Aber das war aus organisatorischen Gründen notwendig."

"Mir gefällt es hier sehr gut."

Der Arzt nickte mir aufmunternd zu und verließ das Zimmer.

Ich blickte zur Decke. Zwei Fliegen umflogen die herabhängende Lampe und griffen sich hin und wieder an.

War die Luft nicht etwas stickig? Mein Blick fiel auf das geschlossene Fenster. Warum hatte es die Schwester nicht - wie sonst auch - geöffnet? Es war doch ein so schöner Frühlingsmorgen, und ich wollte an ihm teilhaben. Also schlug ich die Bettdecke zurück, erhob mich langsam und vorsichtig, streifte die Hausschuhe über und schlurfte zum Fenster. Ich konnte in den Innenhof des Krankenhauses schauen. Große, alte Eichen standen darin, Beete mit vielen bunten Blumen und mittendrin eine Holzlaube. Das alles ließ die tristen und grauen Außenwände des Krankenhauses vergessen.

Ich riß am Fenstergriff, doch das Fenster schien zu klemmen. Es ließ sich nicht öffnen. Zwar durfte ich mich nicht überanstrengen, aber trotzdem zerrte und riß ich einige Male an dem Griff; doch er bewegte sich um keinen Millimeter. Das Fenster ließ sich nicht öffnen. Dann mußte ich doch die Schwester rufen. Sicher würde sie ärgerlich sein. Ich schlurfte zum Bett zurück und drückte dort den Rufknopf. Als ich mich auf die Bettkante setzte, spürte ich, wie erschöpft ich von den Bewegungen war.

Ich wartete.

Doch die Minuten vergingen, die Schwester kam nicht.

Noch einmal drückte ich den Rufknopf. Ich war ungeduldig, ärgerte mich über das Krankenhaus. Aber sosehr ich mich ärgerte, die Tür öffnete sich nicht, keine Schwester kam herein.

Ich überlegte, was ich nun tun sollte. Natürlich konnte ich alles auf sich beruhen lassen und heute ohne geöffnetes Fenster auskommen. Ich konnte aber auch aufstehen, das Zimmer verlassen und der Schwester persönlich Bescheid sagen.

Schließlich hatte ich einen Entschluß gefaßt. Vorsichtig erhob ich mich von der Bettkante und zog mir meinen Bademantel an. Ich schlurfte zur Tür und drückte den Türgriff herunter. Doch die Tür bewegte sich nicht. Ich zerrte an dem Türgriff, doch die Tür schien mit der kalkweißen Wand wie verwachsen zu sein. Ich war zunächst zu sehr erstaunt, um Angst oder gar Panik zu empfinden. Sicher hatte der Arzt die Tür versehentlich abgeschlossen. Aber ungewöhnlich war das schon!

Schließlich hämmerte ich mit der geballten Faust gegen die Tür, immer wieder.

Dann schrie ich, doch niemand schien mich zu hören.

Als ich einen Moment innehielt, bemerkte ich, daß es sich an meinen Füßen feucht anfühlte. Ich schaute nach unten. Der ganze Boden des Zimmers war mit einer dünnen Schicht Wasser bedeckt. Ein Wasserrohrbruch? Hier in meinem Zimmer? Suchend blickte ich mich um. Das Wasser mußte doch irgendwo herauskommen! Minutenlang suchte ich jeden Zentimeter des Bodens ab. Doch ich konnte die Ausströmöffnung nicht finden.

Inzwischen ging mir das Wasser bis an die Waden. Warum lief es nicht durch die Türritzen ab? Ich watete zurück zur Tür und betastete sie an den Rändern. Auch an ihrer Unterseite war die Tür scheinbar fest und dicht mit dem Boden verbunden.

Wieder hämmerte ich gegen die Tür und schrie um Hilfe. Doch nichts geschah.

Ich mußte das Fenster einschlagen. Sicher, das Fenster war ziemlich groß und die Reparatur würde viel Geld kosten, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen.

Das Wasser hatte die Knie erreicht, es war unangenehm kalt, ich fing an zu frieren. Doch auch die Zimmertemperatur mußte stark abgenommen haben.

Das Wasser war nun bis zur Matratze und zur Bettwäsche vorgedrungen, beides sog sich nun langsam mit Wasser voll.

Ich watete zum Fenster und schlug mit den blanken Fäusten gegen die Glasscheibe. Doch die Scheibe zersprang nicht, immer wieder schlug ich auf sie ein, doch sie schien wie aus Beton zu sein. Sie gab nicht nach, kein Sprung war zu sehen, kein Knirschen war zu hören.

Das Wasser hatte inzwischen meine Oberschenkel erreicht. Irgendwie mußte ich das Fenster aufbekommen!

Der Nachtschrank neben meinem Bett! Ich mußte den Nachtschrank gegen die Scheibe werfen, dann würde sie zerspringen, das ahnte ich irgendwie. Ich watete zum Nachtschrank. Hoffentlich war ich nicht schon so sehr geschwächt, daß ich ihn nicht mehr heben konnte. Ich beugte mich leicht nach vorn. Sollte ich ihn ruckartig hochhieven oder langsam? Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit. Der Schrank war schwer, und die Operationsnarbe tat plötzlich sehr weh, doch es gelang mir, den Schrank zunächst auf das Bett zu heben. Während das in den Schrank gelaufene Wasser herauslief, atmete ich mehrmals tief ein und aus. Jetzt mußte ich meine letzten Kräfte mobilisieren, um den Schrank anzuheben und gegen das Fensterglas zu schleudern.

Das Wasser hatte die Hüften erreicht, länger durfte ich nicht mehr warten, sonst konnte ich die Arme nicht mehr frei bewegen. Keuchend hob ich den Nachtschrank an und warf ihn mit aller Kraft in Richtung des Fensters. Doch etwa einen halben Meter vor dem Fenster fiel er aufplatschend ins Wasser.

Erschöpft wollte ich mich setzten, doch das ging nicht mehr. Mühsam versuchte ich gegen den Widerstand des Wasser zur Tür zu gelangen. Wieder hämmerte ich verzweifelt gegen die Tür. Doch niemand reagierte darauf, nur das Wasser stieg immer höher und höher.

Als es schließlich meinen Hals erreicht hatte, ließ ich meine erhobenen Arme kraftlos in das Wasser fallen und wendete mich von der Tür ab. Halb schwimmend, halb gehend bewegte ich mich zum Bett hin und versuchte mich auf den Bettrahmen zu stellen. Doch das Bett besaß keine Stabilität mehr. Kaum hatte ich mich auf den Bettrahmen gestellt, da kippte das Bett langsam, und noch bevor ich das Wasser in der Nase spürte, wußte ich, daß ich nun sterben würde.

Noch einmal versuchte ich verzweifelt, an die Wasseroberfläche zu gelangen, doch ich schaffte es nicht mehr. Vielleicht gab es auch keine Oberfläche mehr, weil das Wasser die Decke erreicht hatte.

Ich war zu schwach gewesen. Ich hatte den Test nicht bestanden.

Schaute der Doktor nicht etwas traurig durch das Fenster?

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